Quantcast
Channel: Universität Hildesheim - Meldungen - Freunde und Förderer
Viewing all articles
Browse latest Browse all 168

Einblicke in die Frankfurter Buchmesse 2024: drei Hildesheimer Autor*innen im Gespräch

$
0
0

Maren Kames

2013 gewann Maren Kames mit Auszügen aus ihrer Abschlussarbeit in Hildesheim den Jury- und Publikumspreis des 21. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin. Zehn Jahre zuvor, unmittelbar nach ihrem Abitur, blieb eine erste Bewerbung am Institut für Literarisches Schreiben zunächst ohne Erfolg. Sie absolvierte daraufhin von 2003 bis 2009 ein Erststudium der Kulturwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaften in Tübingen und Leipzig und schloss von 2009 bis 2013 ein Literarisches Schreiben Studium in Hildesheim an. Den theoretischen Zugang zur Welt, zum Denken anderer, der sich in den Jahren des Erststudiums für sie öffnete, beschreibt sie als Basis für ihr literarisches Schreiben. In ihren Texten nimmt dieser Zugang zu anderen, der Übergang von der Einsamkeit zur Weltzugewandtheit, als Tendenz zu.

Ihre Schreibprozesse beginnt sie, indem sie nach einem treffenden Ton sucht und diesen in eine Form ausbaut, die das Potenzial hat, zum Kosmos zu werden. In diesen Kosmos fügt sie nach und nach Figuren, Motive, sprachliche Gesten und Denkbewegungen ein, aus denen dann ihre Plots hervorgehen: In diesem Falle reagieren alle genannten Bestandteile miteinander. Um Genres und Genrezuordnungen kümmert sie sich dabei zunächst sehr lange gar nicht. In gewisser Hinsicht, sagt sie, suche sich jeder Text sein eigenes Genre, denn Genre sei im Prinzip ja auch nur eine gröbere, unpräzisere Vokabel für Form.

Nach Halb Taube Halb Pfau (2016) und Luna Luna (2019) steht Maren Kames mit ihrem ersten Roman Hasenprosa dieses Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Das Buch erzählt von einer Reise durch Raum und Zeit, in der sich Spuren und Lebenslinien der Ich-Erzählerin mit märchenhaften, surrealen Ausflügen in Erdzeitalter, zu Fixsternen, aber auch in die unmittelbare Gegenwart zu einer eigenen, ganz anderen Form von Autofiktion fügen.

Zum ausführlichen Interview über Hasenprosa.

Markus Thielemann

Markus Thielemann ist Schriftsteller, Geograf und Philosoph – und vor allem stark verwurzelter Niedersachse. Auf das Studium der Geografie und Philosophie in Osnabrück folgte ein Literarisches Schreiben Studium an der Universität Hildesheim. Dabei sollte das Erststudium für seinen weiteren Werdegang prägend sein: Auf die Fragen: „Wieso sieht es hier so aus, wie es aussieht und welche Geschichten verbergen sich dahinter?“ sucht der Autor, der sich als Geograf in jeden Sachverhalt rasant einarbeiten kann, in seinen Texten Antworten.

Mit seinem zweiten Roman Von Norden rollt ein Donner steht er auf der Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises. Dieser unterscheidet sich bereits bezüglich seiner Genese maßgeblich vom 2021er Erstling Zwischen den Kiefern: Anders als beim Debüt war die Finanzierung während des Schreibprozesses am zweiten Roman durch ein Niedersächsisches Landesstipendium ab Sommer 2022 gesichert; zugleich bildete das für den Stipendienantrag verfasste Exposé ein klares Handlungsgerüst, das Ende stand vor dem eigentlichen Schaffensprozess bereits fest. Dies ermöglichte Thielemann, den zweiten Roman um die Figuren herum aufzubauen. Im Gegensatz dazu hatte er sein Debüt von der Handlung ausgehend verfasst.

In Von Norden rollt ein Donner soll der 19-jährige Protagonist Jannes in der Lüneburger Heide den Familienhof übernehmen. Seine Familie ist wortkarg und somit symptomatisch für das Setting der stark militarisierten Heidegesellschaft. Gerade rechte Ideologien werden nicht öffentlich problematisiert, der Umgang mit diesen bleibt fragmentarisch, zumal Jannes wenig spricht. In der erzählten Welt erfolgt grundsätzlich keine klare Positionierung, der Autor überlässt es den Lesenden, ihre eigene Haltung abzuleiten.

Zum ausführlichen Interview über Von Norden rollt ein Donner.

Res Sigusch

Genauso wie Maren Kames und Markus Thielemann ist auch Res Sigusch ein*e Schriftsteller*in, die*der vorher etwas anderes studiert hat; in deren Texten dreht sich alles um die Figuren. Durch das Studium der Literaturwissenschaft und der Philosophie an der FU Berlin lernte dey, auch die eigenen Texte als Lesende*r zu betrachten und über die Figuren in der fiktiven Welt unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. In deren Debütroman Wesentliche Bedürfnisse spielt Benjamin Leiser die Hauptrolle. Er ist Kunstprofessor, der eigentlich einmal Künstler werden wollte und seine Entscheidung für eine Wissenschaftskarriere bereut, da er sich nach wie vor nach dem eigenen künstlerischen Ausdruck sehnt.

Student Konstantin ist für Professor Leiser er selbst und zugleich der Sohn, den er nie hatte. Das Machtgefälle zwischen Student und Professor nutzt Leiser aus, sodass Siguschs Debüt im Hintergrund die Machtstrukturen im Kunstbetrieb problematisiert. Zugleich hinterfragt Sigusch die Definitionen von ‚Versagen‘ und ‚Erfolg‘ – aus der Sicht anderer wäre Benjamin Leiser wohl erfolgreich, aus der eigenen Perspektive ist er gescheitert, weil er sich nicht selbst verwirklicht hat. Res Siguschs Debüt verhandelt die Frage, welche menschlichen Bedürfnisse nun eigentlich „wesentlich“ sind. Benjamin Leiser selbst kann diese Fragen für sich nicht beantworten. Nicht in dem Moment, in dem er sich an die Wende im Jahr 1989 und eine verflossene Liebe aus der Zeit zurückerinnert und auch nicht als er sich einen Künstler ausdenkt, in dessen Namen er eigene Werke ausstellt.

Trotz oder gerade als nichtbinäre Person erzählt Res Sigusch Wesentliche Bedürfnisse aus der Sicht eines weißen cis-Mannes; dieser wird wiederum durch ausschließlich weiblich zu lesende Nebenfiguren ergänzt. Das Ergebnis: Ein Spiel mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung aus verschiedenen Perspektiven und ein Verhandeln der Frage, wessen Sicht hier eigentlich ‚die Richtige‘ ist. Gerade diese stark von der eigenen Identität entrückte Auswahl des Protagonisten ist für Res Sigusch eine Chance für mehr Spielraum, da es demm mit der Figurenzusammenstellung gelingt, als allwissende Erzählinstanz zu fungieren.

Nach dem Berliner Literatur- und Philosophiestudium von 2013 bis 2017 studierte Sigusch von 2017 bis 2021 Literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim. Am Freitag, 18. Oktober, liest Sigusch ab 18.30 Uhr in der Galerie Schierke Seinecke und ab 21.30 Uhr in der Römerhalle.

Drei Fragen an Res Sigusch

Wieso ist Ihr Text ein „Wenderoman“?

„Wende“ bezieht sich zum einen auf das Verhandeln von Freiheit und deren Verhinderung – Themen, die aufgrund der historischen Ereignisse 1989 immer wieder Thema waren. Andererseits bezieht sich „Wende“ auch auf Benjamins ‚innere Wende‘ als Figur.

Wieso erinnert Benjamin Leiser sich ausgerechnet an 1989 zurück?

Dies passiert nicht nur aufgrund der politischen Umbrüche, sondern hinzu kommt noch eine tragische Liebesgeschichte, die ihm als 19-Jährigem in einem prägenden Lebensabschnitt widerfuhr, sodass er sich an diese sein gesamtes restliches Leben zurückerinnert.

Was sind „wesentliche Bedürfnisse“?

Diese Frage wirft der Text auf, ohne sie zu beantworten. Für Leiser als Figur sind dies implizit Wünsche nach Nähe und Geborgenheit, jede*r Leser*in kann sich diese Frage aber selbst beantworten und eigene Antworten finden.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 168